2. Weltkrieg: Warum die Wehrmacht in Österreich so viele Unfälle baute - WELT (2024)

2. Weltkrieg: Warum die Wehrmacht in Österreich so viele Unfälle baute - WELT (1)

Beim Einmarsch der Wehrmacht in Österreich fiel bekanntlich kein Schuss. Stattdessen wurden die deutschen Invasoren am frühen Morgen des 12. März 1938 mit Jubel empfangen. Dennoch verlief der „Anschluss“ der Alpenrepublik an das Dritte Reich keineswegs reibungslos, vielmehr gab es etliche Pannen. Das lag vor allem daran, dass die sechs am „Unternehmen Otto“ beteiligten deutschen Divisionen recht überstürzt in Marsch gesetzt worden waren – Adolf Hitlers kurzfristige Befehle hatten selbst die Wehrmachtsspitzen schlichtweg überrascht und viele Militärangehörige auf dem falschen Fuß erwischt.

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Nun ging es vielerorts drunter und drüber. Es gab Koordinierungsprobleme, hastig wurden Offiziere zusammengetrommelt und das Vorgehen improvisiert. Es war der erste große Einsatz deutscher Truppen seit 1918, und vieles war eingerostet, auch im wörtlichen Sinne: Wegen technischer Defekte und Spritmangel fielen dutzende Panzer, Panzerwagen, Lkw und weitere Fahrzeuge aus; bis zu 30 Prozent des rollenden Materials blieb zwischenzeitlich liegen.

Auch die Disziplin ließ zu wünschen übrig: Etliche Soldaten hatten die Woche nichts ahnend mit Saufgelagen ausklingen lassen und waren an jenem Samstagmorgen sichtlich angetrunken, verkatert oder angeschlagen. Neben diesen Faktoren sorgte vor allem ein weiterer Aspekt für diverse Unfälle auf den Straßen: In Teilen Österreichs herrschte Linksverkehr, was die Deutschen verwirrte, die gewohnt waren, auf der rechten Straßenseite zu fahren.

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Zwar hatte man in der Alpenrepublik Jahre zuvor beschlossen, den zuletzt in der Kaiserzeit geltenden Linksverkehr abzuschaffen, nachdem sich eine Verkehrskommission des Völkerbundes 1927 dafür ausgesprochen hatte, in Kontinentaleuropa einheitlich den Rechtsverkehr einzuführen. Aber an der Umsetzung haperte es, sodass in einigen Landesteilen rechts, in östlichen Regionen inklusive der Hauptstadt Wien jedoch immer noch links gefahren wurde.

Letzteres galt auch für die Tschechoslowakei, Hitlers nächstem Invasionsziel. Hier war die Wehrmacht jedoch ungleich besser vorbereitet. Nach einer entsprechenden Weisung des deutschen Diktators vom 30. Mai 1938 wurde der „Fall Grün“ monatelang vorbereitet, bis deutsche Panzer Anfang Oktober erst in das Sudentenland und am 15. März 1939 durch Prag rollten.

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In beiden Ländern verordneten die Besatzer rasch den Rechtsverkehr, wobei Wien und Prag jeweils Übergangsfristen eingeräumt wurden, weil die Umrüstung der Straßenbahnnetze kompliziert war. Nicht nur mussten bei einigen Wagen die Türen versetzt werden, auch waren Weichen und Haltestellen umzubauen. Mit Aufklärungskampagnen, Presseartikeln und Hinweisschildern wies man die Bevölkerung auf die Umstellung hin, dennoch kam es in den ersten Tagen zu dutzenden Unfällen. Dabei verletzten sich meist Fußgänger, die aus Gewohnheit reflexartig in die falsche Richtung schauten, als sie die Straße überquerten.

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Genau dies hatte keinen geringeren als Winston Churchill einige Jahre zuvor fast das Leben gekostet. Als der spätere britische Premierminister auf einer Vortragsreise in den USA am 13. Dezember 1931 zu Fuß die New Yorker 5th Avenue passieren wollte, versäumte er, an den englischen Linksverkehr gewohnt, in die richtige Richtung zu sehen. Ein Auto fuhr ihn an, und Churchill war nach eigenen Angaben zwei Monate lang „ein Wrack“. Immerhin fand schnell einen Arzt, der ihm „zur Heilung“ tägliche Rationen von Ethanol verschrieb, was im Amerika der Prohibitionszeit eine der wenigen legalen Möglichkeiten war, an diesen Stoff zu kommen. Dem erklärten Liebhaber alkoholischer Getränke erleichterte dies seinen Aufenthalt ganz erheblich.

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Im Zweiten Weltkrieg ließ der (abstinente) deutsche Diktator seinen britischen Gegner von seiner Propaganda regelmäßig als vermeintlich unfähigen „Trunkenbold“ beschimpfen. Churchill ging aus dem Konflikt aber bekanntlich als Sieger hervor, und das betraf auch einmal mehr die Frage nach der vorgeschriebenen Straßenseite. So gelang es Hitlers Landungstruppen am 30. Juni 1940, die nahe der französischen Küste gelegenen Kanalinseln zu besetzen. Es waren die einzigen britischen Territorien, die deutsche Truppen einnahmen. Die Briten hatten zuvor rund 25.000 Menschen evakuieren können.

Die rund 67.000 Daheimgebliebenen arrangierten sich bald mit den Besatzern. Polizisten in ihren typischen englischen „Bobby“-Uniformen patrouillierten neben Wehrmachtssoldaten in Uniform, von denen rund 30.000 auf den Inseln stationiert wurden. Die Deutschen bauten die Inseln zu riesigen Festungen aus (die aber 1944 von den Alliierten während ihrer Normandie-Invasion ignoriert wurden) und ließen dort auf Rechts- statt Linksverkehr umstellen. Nach dem Ende der Besatzung am 9. Mai 1945 und der kampflosen Rückgabe der Inseln machte Großbritannien dies prompt rückgängig.

Praktische Aspekte sprachen früher für Linksverkehr

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Mit ihrem Beharren auf dem Linksfahren konnten sich die Briten auf jahrtausendealte Traditionen berufen. Zwar ist die Quellenlage dürftig und vieles nur Theorie, doch Forscher gehen davon aus, dass man sich bis in die Moderne bei zweispurigem Verkehr primär auf der linken Straßenseite fortbewegte, auch wenn es dafür keine einheitlichen Vorschriften gab und Gegenbeispiele bekannt sind.

Aber schon rein praktische Aspekte sprechen für einen früher weitverbreiteten Linksverkehr: Denn Reiter, zumindest die große Mehrheit der Rechtshänder, stiegen mit dem linken Bein in den Steigbügel, um sich mit dem rechten Bein aufs Pferd zu schwingen – das Tier stand dementsprechend nach links gewandt. Wollte man es nicht erst umständlich wenden, ritt man dann eben auf der linken Seite der Straße davon. Ritter trugen ihre Schwerter zudem links am Gürtel, um sie mit rechts ziehen und schwingen zu können. Daher ritten sie an entgegenkommenden Reitern, immerhin potenziellen Gegnern, auf der linken Seite vorbei, um mit rechts zuschlagen zu können.

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Wer sich kein Pferd leisten konnte, lief zu Fuß in der Mitte oder am rechten Straßenrand, um den Adligen und Gutbetuchten mit ihren Tieren und Kutschen auf der linken Seite nicht in die Quere zu kommen und ihnen Vorrang zu gewähren. Das soll auch der Grund gewesen sein, warum in Frankreich im Zuge der Revolution Ende des 18. Jahrhunderts auf Rechtsverkehr umgeschwenkt wurde. In der Schreckensherrschaft der Jakobiner wollte sich auf den Straßen tunlichst niemand mehr als adlig und wohlhabend hervortun, lieber bewegte man sich nun unauffällig inmitten der einfachen Leute fort – also rechts.

Die Regierung von Maximilien de Robespierre machte dies dann zur Vorschrift, was Napoleon für seine Truppen übernahm. Das wird wiederum vielfach als Grund dafür angesehen, weshalb große Teile Europas auf den Rechtsverkehr umschwenkten: Es handele sich um einen französischen Kulturexport während Napoleons Feldzügen und habe sich daher in den eroberten Gebieten eingebürgert. Vielerorts blieb es später dabei, nicht jedoch in der späteren K.-u.-k.-Monarchie, wo man nach der Niederlage Napoleons größtenteils trotzig aufs Linksfahren zurückwechselte.

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Großbritannien war unterdessen die ganze Zeit beim Linksverkehr geblieben und exportierte ihn wiederum in seine Kolonien, weshalb in Ländern wie Südafrika, Indien und Australien bis heute links gefahren wird. Dass es in den USA anders ist, führen manche auf den Einfluss Frankreichs zurück, das im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg gegen die Briten mit den Amerikanern verbündet war (und in seinen Kolonien den Rechtsverkehr einführte).

Zudem spielte in Amerika wie auch in Europa das vermehrte Aufkommen von großen Fuhrwerken im späten 18. Jahrhundert eine Rolle, die vom Sattel des hinteren linken Zugtiers gelenkt wurden, um die übrigen mit der Peitsche in der rechten Hand zu kontrollieren. Den Abstand zu entgegenkommendem Verkehr konnte man besser einschätzen, wenn man rechts an ihm vorbeifuhr. Gesetzlich festgeschrieben wurde Rechtsverkehr in den USA erstmals 1792 in Philadelphia (Pennsylvania).

In Europa wird heute nur noch in Großbritannien, Irland sowie in den ehemaligen britischen Kronkolonien Malta und Zypern auf der linken Seite gefahren. Ungarn stellte 1941 auf Rechtsverkehr um, danach gab es in Kontinentaleuropa nur noch einen späten Nachzügler: Schweden.

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Erst am 3. September 1967 wurde hier nach jahrelanger intensiver Vorbereitung auf rechts umgestellt. An jenem Sonntag, dem „Tag H“ (das H stand für „Högertrafikomläggningen“, übersetzt auf Deutsch „Rechtsverkehrsumstellung“) hatten Normalbürger frühmorgens zunächst stundenlang Fahrverbot; nur „offizieller“ Verkehr wie Polizei, Feuerwehr und Krankenwagen, Busse und Taxis erhielt Ausnahmegenehmigungen.

Derweil wurden die umfangreichen Umrüstarbeiten ausgeführt, d.h. Ampeln umgebaut, Schilder und Markierungen ausgetauscht. Zwischen 4.50 und 5 Uhr stoppten dann alle, die auf der Straße sein durften, und wechselten langsam die Seite, dann rollte der Verkehr wieder. Wenig später durften auch normale Verkehrsteilnehmer die neuen Regeln ausprobieren.

Dass die Schweden so lange den Wechsel gescheut hatten, diverse Anläufe dazu gescheitert waren und noch 1955 eine deutliche Mehrheit in einer Volksabstimmung gegen die Umstellung votierte, lag neben liebgewonnenen Gewohnheiten auch an Sorgen vor den hohen Kosten einer solchen Mammutaktion. Für eine Umstellung sprach die im Vergleich zu Resteuropa erhöhte Unfallstatistik. Diese wurde darauf zurückgeführt, dass in Schweden (anders als in Großbritannien etc.) trotz Linksverkehrs primär Autos verbreitet waren, die wie in Rechtsfahrer-Ländern mit linksseitigen Lenkrädern ausgestattet waren. Das erschwerte unter anderem die Sicht bei Überholmanövern.

Überproportional viele Unfälle gab es zudem an den Grenzen zu den Rechtsfahrländern Finnland und Norwegen, und das führte schließlich zu einem Umdenken der Regierung, auch wenn es dagegen massive Widerstände von Verkehrs-Traditionalisten gab. Der Erfolg gab den Wechselwilligen recht: Die Zahl der Unfälle sank. Als allerletzter europäischer Nachzügler in Sachen Rechtsverkehr meldete schließlich am Sonntag, dem 26. Mai 1968, ein entlegener Inselstaat im Nordwesten Vollzug: Island.

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